Forschendes Lernen in der Praxis: Mit Fragen und Methoden zum eigenen Projekt
Im ersten Beitrag dieser Reihe haben Sie erfahren, was forschendes Lernen bedeutet und wie die Kinder davon profitieren. Der Fokus liegt auf der Idee, Kinder nicht nur Wissen aufnehmen zu lassen, sondern sie zu aktiven Entdecker*innen zu machen.
Doch wie kommt man von der Neugier im Alltag zu einer konkreten Frage oder gar zu einem ganzen Projekt? Genau hier setzt der zweite Teil an. Wir zeigen Ihnen, wie Kinder mithilfe einfacher Methoden eigene Fragen entwickeln und vertiefen können.
Im Mittelpunkt stehen zwei Werkzeuge, die sich in der Praxis bewährt haben: die Themenpyramide und die Mind-Map-Methode. Beide machen sichtbar, wie Kinder aus großen Ideen oder spontanen Einfällen spannende Forschungsfragen ableiten können und so den ersten Schritt in ein eigenes Projekt gehen. Und um eines gleich vorweg zu nehmen – auch in der Ausbildung sind die hier vorgestellten Methoden wichtig und hilfreich.
Warum eine gute „Forschungsfrage“ wichtig ist
Forschendes Lernen beginnt fast immer mit einer Frage. Kinder beobachten ihre Umgebung, wundern sich über etwas und wollen verstehen, was dahintersteckt. Doch nicht jede Frage eignet sich für einen längeren Forschungsprozess.
Geschlossene Fragen wie „Gibt es Regen?“ lassen sich meist mit Ja oder Nein beantworten. Danach ist die Neugier schnell gestillt. Offene Fragen dagegen öffnen den Blick: „Woher kommt der Regen?“ oder „Warum hört der Regen manchmal schnell auf?“ regen Kinder dazu an, weiterzudenken, Vermutungen aufzustellen und neue Wege auszuprobieren.
Eine gute Forschungsfrage ist also offen, verständlich und macht neugierig. Sie lädt Kinder dazu ein, Beobachtungen zu machen, kleine Experimente zu starten oder Gespräche zu führen.
Für Erzieher*innen bedeutet das: Kinderfragen ernst nehmen und gemeinsam überlegen, wie sie weiterverfolgt werden können. Denn oft steckt hinter einer scheinbar einfachen Frage ein spannendes Thema, das sich gut erforschen lässt.

Die Themenpyramide – vom Großen ins Kleine
Die Themenpyramide ist eine einfache Methode, um von einem sehr allgemeinen Thema zu einer konkreten Forschungsfrage zu gelangen. Sie eignet sich besonders gut, wenn Kinder viele Ideen haben, die noch zu breit gefasst sind.
So funktioniert es:
1. Starten Sie mit einem großen Oberthema, zum Beispiel „Natur“.
2. Gemeinsam mit den Kindern wird das Thema immer weiter eingegrenzt: „Natur“ → „Wald“ → „Bäume“ → „Blätter“.
3. Aus diesem Prozess entsteht am Ende eine Forschungsfrage, z. B.: „Warum werden Blätter im Herbst bunt?“
Die Pyramide macht sichtbar, wie man von einer allgemeinen Idee Schritt für Schritt zu einer klaren Fragestellung kommt. Gleichzeitig ermöglicht die Themenpyramide Themen zu strukturieren und Schwerpunkte zu setzen.

Die Mind-Map – Ideen sichtbar machen
Während die Themenpyramide Schritt für Schritt von groß nach klein führt, hilft die Mind-Map, viele Gedanken gleichzeitig sichtbar zu machen. Ausgangspunkt ist dabei eine Frage oder ein Thema, das in die Mitte eines Blattes geschrieben wird. Von dort aus gehen Strahlen nach außen, auf denen die Kinder ihre Ideen, Begriffe und Bilder notieren.
Ein Beispiel aus dem Erzieheralltag: Den Planungsprozess beginnen Sie mit der Frage „Woher kommt der Regen?“. Diese schreiben Sie in die Mitte. Rundherum sammeln die Kinder alles, was ihnen einfällt: Wolken, Himmel, Regentropfen, Donner, Regenbogen, Pfützen. So entsteht ein buntes Bild, das zeigt, wie vielfältig ihre Ideen miteinander verbunden sind.
Der Vorteil: Kinder sehen, dass es nicht nur eine Antwort gibt, sondern viele Wege, weiterzuforschen. Aus einer Mind-Map lassen sich leicht neue Forschungsfragen ableiten, zum Beispiel: „Wie entstehen Wolken?“ oder „Wie klingt Regen auf verschiedenen Oberflächen?“
Eine Mind-Map eignet sich auch gut für Teamarbeit. Kinder arbeiten gemeinsam an einem großen Plakat, ergänzen sich gegenseitig und erleben, wie ihre Ideen zusammen ein ganzes Bild ergeben. Und natürlich können die Mind Map auch im Rahmen Ihrer Ausbildung nutzen, wenn Sie sich beispielsweise etwas eigenständig erarbeiten sollen.
Von der Methode zum Projekt
Sowohl die Themenpyramide als auch die Mind-Map sind keine reinen Denkübungen, sondern der Startpunkt für echte Forschungsprojekte. Sie helfen Kindern, ihre Neugier zu bündeln und daraus spannende Lernwege zu entwickeln.
Beispiel Themenpyramide:
Aus dem weiten Thema „Natur“ entsteht Schritt für Schritt die Frage „Warum werden Blätter bunt?“ Daraus lässt sich ein kleines Projekt entwickeln: Kinder sammeln Herbstblätter, vergleichen die Farben, pressen sie und überlegen, warum sich die Farben verändern. Mit einfachen Experimenten – etwa einem Wasserfarbversuch – können sie die Idee von Farbstoffen im Blatt sichtbar machen.
Beispiel Mind-Map:
Aus der Frage „Woher kommt der Regen?“ entsteht eine Mind-Map mit vielen Ideen. Daraus wächst ein Projekt: Die Kinder bauen einen Regenmesser, beobachten über mehrere Tage das Wetter und dokumentieren ihre Ergebnisse mit Zeichnungen oder Fotos. Gleichzeitig können sie Geräusche von Regen aufnehmen und daraus ein kleines „Regenkonzert“ gestalten.
Solche Projekte zeigen Kindern: Ihre Fragen führen zu Antworten und zu neuen Fragen. So bleibt Lernen lebendig, spannend und praxisnah.
Grenzen und Herausforderungen
So spannend und wertvoll forschendes Lernen ist, im Alltag stoßen Fachkräfte auch auf Grenzen. Wichtig ist, diese im Blick zu behalten, ohne sich entmutigen zu lassen.
- Zeitdruck im Alltag: Forschendes Lernen braucht Zeit. Kinder stellen viele Fragen, wollen ausprobieren und beobachten. Im eng getakteten Tagesablauf ist das nicht immer leicht unterzubringen. Hier hilft es, kleine Einheiten einzuplanen oder ein Projekt über mehrere Tage zu strecken.
- Unterschiedliche Vorerfahrungen im Team: Nicht alle Kolleg*innen haben dieselbe Erfahrung mit offenen Lernformen. Manche bevorzugen klare Strukturen, andere sind offener für Experimente. Austausch im Team und gemeinsame Absprachen sind wichtig, um Unsicherheiten zu reduzieren.
- Balance zwischen Freiheit und Struktur: Forschendes Lernen lebt von Offenheit. Kinder sollen eigene Wege gehen dürfen. Gleichzeitig brauchen sie Orientierung und einen sicheren Rahmen. Diese Balance zu finden, ist eine zentrale Aufgabe für Erzieher*innen.
- Ressourcen und Ausstattung: Nicht immer stehen die passenden Materialien oder Räume zur Verfügung. Hier sind Kreativität und Improvisation gefragt. Forschen ist auch mit einfachen Mitteln möglich.
Diese Herausforderungen zeigen: Forschendes Lernen ist kein „fertiges Rezept“. Es braucht Flexibilität, Teamarbeit und den Mut, Dinge auszuprobieren. Gerade darin liegt aber auch seine Stärke.
Fazit: Mit Struktur zur Neugier
Forschendes Lernen lebt von den Fragen der Kinder. Mit Methoden wie der Themenpyramide und der Mind-Map erhalten diese Fragen eine klare Form. Kinder erleben, dass sie ihre Neugier strukturieren können und dass aus einer Idee spannende Projekte entstehen.
Die beiden Methoden sind leicht verständlich, machen Gedanken sichtbar und helfen, aus spontanen Einfällen konkrete Forschungsfragen abzuleiten. So wird Neugier nicht dem Zufall überlassen, sondern gezielt gefördert.
Bei Campus Berlin können Studierende den Fachschulen für Sozialpädagogik sowie für Heilerziehungspflege forschendes Lernen nicht nur theoretisch kennenlernen, sondern auch praktisch erproben. Im Wahlpflichtfach Forschendes Lernen entwickeln die Auszubildenden eigene Projekte und lernen Methoden wie die Themenpyramide oder die Mind-Map direkt im Ausbildungsalltag einzusetzen.


